
Digital & Barrierefrei: Der strategische Fahrplan für Entscheider
Als Geschäftsführer oder Projektentscheider in den Bereichen Data, Digital Marketing oder Cloud stehen Sie vor zwei großen Herausforderung: Einerseits müssen Sie innovative Lösungen entwickeln. Andererseits sollten diese auch für alle Nutzergruppen zugänglich zu gestalten. Das Barrierefreiheitsgesetz ist hierbei keine bloße Compliance-Anforderung, sondern eine strategische Chance für Ihr Unternehmen.
Doch wie können Sie diese Anforderungen erfüllen, wenn Ihr Team möglicherweise nicht über das spezifische Know-how verfügt? Dieser Artikel gibt Ihnen einen Überblick über das Gesetz und zeigt Wege zur effizienten Umsetzung auf.
Das Barrierefreiheitsgesetz: Relevanz für digitale Unternehmen
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), die deutsche Umsetzung des European Accessibility Act (EAA), betrifft besonders Unternehmen im digitalen Sektor. Verabschiedet im Jahr 2021, definiert es verbindliche Anforderungen für Produkte und Dienstleistungen, die für Ihr Geschäftsfeld besonders relevant sind:
- Digitale Plattformen und Anwendungen: Websites, Apps und digitale Dienste
- E-Commerce-Lösungen: Online-Shops und digitale Marktplätze
- Cloud-basierte Anwendungen: SaaS und andere Cloud-Dienste
- Datenvisualisierung und Reporting-Tools: BI-Dashboards und Analyseplattformen
- Digitale Marketingkanäle: Social Media, Email-Marketing, Content-Plattformen
Für Entscheider in datengetriebenen und digitalen Unternehmen bedeutet dies, dass praktisch jedes Produkt oder jede Dienstleistung, die Sie anbieten oder intern nutzen, den Anforderungen des Gesetzes entsprechen muss.
Die kritische Zeitlinie für digitale Unternehmen
Für Ihre strategische Planung sind folgende Fristen entscheidend:
- Juni 2025: Ab diesem Stichtag müssen alle neuen digitalen Produkte und Dienste vollständig barrierefrei sein
- Juni 2030: Ende der Übergangsfrist für bestehende Self-Service-Terminals
Diese Timeline mag auf den ersten Blick großzügig erscheinen, doch die Erfahrung aus der Umsetzung ähnlicher Compliance-Anforderungen zeigt: Der notwendige Transformationsprozess sollte frühzeitig beginnen, um kostspielige Last-Minute-Anpassungen zu vermeiden.
Die Herausforderung: Fehlende interne Expertise
Viele Unternehmen im Digitalbereich stehen vor einem gemeinsamen Problem: Trotz hochqualifizierter Teams in den Bereichen Data Science, Cloud-Infrastruktur oder Digital Marketing fehlt oft das spezifische Know-how für Barrierefreiheit.
Diese Lücke kann zu mehreren Risiken führen:
- Ineffiziente Ressourcennutzung: Ihre Entwicklungsteams benötigen mehr Zeit, um sich in neue Standards einzuarbeiten
- Compliance-Risiken: Fehlinterpretationen der Anforderungen können zu kostspieligen Nachbesserungen führen
- Verzögerte Markteinführung: Anpassungen in späten Entwicklungsphasen können Ihre Time-to-Market verlängern
- Qualitätseinbußen: Improvisierte Lösungen können die Nutzererfahrung beeinträchtigen
- Technische Anforderungen an digitale Produkte und Dienstleistungen
- Für digitale Angebote gilt ein breites Spektrum an Anforderungen
Websites und Webapplikationen
- WCAG-Konformität (Web Content Accessibility Guidelines)
- Tastaturnavigation ohne Mausabhängigkeit
- Kompatibilität mit Screenreadern und anderen assistiven Technologien
- Semantisch korrekter HTML-Code
Mobile Apps und Software-Lösungen
- Barrierefreie Navigation und Bedienung
- Unterstützung von Betriebssystem-Accessibility-Funktionen
- Flexible Darstellungsoptionen (Kontrast, Schriftgröße)
- Alternative Eingabemethoden
Datenvisualisierungen und Dashboards
- Alternative Darstellungsformen für Grafiken und Charts
- Textäquivalente für visuelle Informationen
- Farbschemata, die auch für Menschen mit Farbfehlsichtigkeit erkennbar sind
Cloud-Dienste und SaaS-Angebote
- Barrierefreie Benutzeroberflächen für Administration und Nutzung
- Zugängliche API-Dokumentation
- Kompatible Integrationsoptionen mit assistiven Technologien
Strategische Lösungsansätze: Nutzen externer Expertise effizient
Angesichts der komplexen Anforderungen und des oft fehlenden internen Know-hows entwickeln immer mehr Unternehmen strategische Ansätze, die externe Expertise gezielt einbinden:
1. Hybride Teams für maximale Effizienz
Die Kombination aus internem Fachwissen und externer Spezialisierung hat sich als besonders effektiv erwiesen. Dabei arbeiten Ihre bestehenden Teams mit Experten für digitale Barrierefreiheit zusammen:
- Ihre Data Scientists konzentrieren sich auf die Kernfunktionalität der Datenverarbeitung
- Externe Accessibility-Experten optimieren die Nutzerschnittstelle und Datenvisualisierung
- Ihr Entwicklungsteam integriert die optimierten Komponenten in das Gesamtsystem
2. Knowledge Transfer statt einmaliger Implementierung
Anstatt lediglich eine einmalige Anpassung vorzunehmen, setzen vorausschauende Unternehmen auf nachhaltigen Wissenstransfer:
- Workshops und Schulungen durch externe Spezialisten
- Pair Programming zwischen internen Entwicklern und externen Experten
- Dokumentation von Best Practices für zukünftige Projekte
3. Agile Integration in bestehende Entwicklungsprozesse
Die Barrierefreiheit sollte kein isoliertes Projekt, sondern integraler Bestandteil Ihres Entwicklungsprozesses sein:
- Definition of Done um Barrierefreiheits-Anforderungen erweitern
- Automatisierte Tests für Accessibility-Standards einführen
- UX Research mit diversen Nutzergruppen, inklusive Menschen mit Behinderungen
Praktische Implementierungsstrategie für digitale Unternehmen
1. Gap-Analyse durchführen
- Ermitteln Sie den Status quo Ihrer digitalen Angebote bezüglich Barrierefreiheit:
- Automatisierte Scans Ihrer Webpräsenzen und digitalen Produkte
- Expertenreviews durch Spezialisten für digitale Barrierefreiheit
- Nutzertests mit Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen
2. Expertise gezielt einbinden
Basierend auf den identifizierten Lücken können Sie nun entscheiden, welche Art von Expertise Sie benötigen:
- Freiberufliche Spezialisten für spezifische Herausforderungen wie ARIA-Integration oder Screenreader-Optimierung
- Spezialisierte Agenturen für umfassendere Transformationsprojekte
- Zertifizierte Berater für strategische Planung und Compliance-Fragen
Achten Sie dabei auf nachgewiesene Erfahrung speziell im digitalen Bereich und idealerweise in Ihrer spezifischen Branche.
3. Nachhaltiges Konzept entwickeln
Die Zusammenarbeit mit externen Experten sollte immer auch den Aufbau interner Kompetenz zum Ziel haben:
- Dokumentation von Standards und Best Practices
- Schulungen für Ihre Entwickler, Designer und Produktmanager
- Integration in Ihren Einstellungsprozess, um langfristig eigene Expertise aufzubauen
4. Transformationsplan erstellen
Basierend auf den gesammelten Erkenntnissen und mit Unterstützung der Experten können Sie nun einen realistischen Transformationsplan erstellen:
- Priorisierung nach Nutzerreichweite und Compliance-Risiko
- Roadmap mit klaren Meilensteinen bis 2025
- Ressourcenplanung für interne und externe Kapazitäten
Fallbeispiel: Datenvisualisierungs-Startup
Ein mittelständisches Unternehmen, das Business-Intelligence-Tools für die Finanzbranche entwickelt, stand vor der Herausforderung, seine datenintensiven Dashboards barrierefrei zu gestalten. Die internen Entwickler waren Experten für Datenanalyse und -visualisierung, aber nicht für Barrierefreiheit.
Strategischer Ansatz:
- Einbindung eines freiberuflichen Accessibility-Experten für eine dreimonatige Zusammenarbeit
- Gemeinsame Entwicklung von wiederverwendbaren, barrierefreien Visualisierungskomponenten
- Aufbau eines internen Kompetenzzentrums mit zwei geschulten Entwicklern
Ergebnis:
- Vollständig barrierefreie Dashboards, die bereits heute den Anforderungen von 2025 entsprechen
- 30% Zeitersparnis bei zukünftigen Produktentwicklungen durch wiederverwendbare Komponenten
- Zusätzliche Aufträge im öffentlichen Sektor durch frühzeitige Compliance
Fazit: Strategischer Vorteil durch rechtzeitige Vorbereitung
Das Barrierefreiheitsgesetz stellt für digitale Unternehmen zweifellos eine Herausforderung dar, bietet aber auch erhebliche Chancen. Der kluge Einsatz externer Expertise in Kombination mit dem sukzessiven Aufbau internen Know-hows ermöglicht eine effiziente Umsetzung ohne Beeinträchtigung Ihrer Kerngeschäftstätigkeit.
Unternehmen, die jetzt handeln, können nicht nur kostspielige Last-Minute-Anpassungen vermeiden, sondern sich durch frühzeitige Compliance einen strategischen Wettbewerbsvorteil sichern und neue Märkte erschließen.
Weiterführende Ressourcen
Bundesfachstelle Barrierefreiheit (https://www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de/)
Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) (https://www.w3.org/WAI/standards-guidelines/wcag/)
BITKOM-Leitfaden zur digitalen Barrierefreiheit (https://www.bitkom.org/Bitkom/Publikationen)
European Accessibility Act der Europäischen Union (https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1202)