Wie deutsche Unternehmen die Digitalisierung meistern: Teil 2 - Erfolgsstrategien aus der Praxis – Interview Marcus Kallies & Matt Laker

Deutschlands Digitalisierungs-Dilemma: Von der Diagnose zur Therapie

 

Deutschland kämpft mit einem Paradox: Während unsere Engineering-DNA über ein Jahrhundert wirtschaftlichen Erfolg brachte, wird der Perfektionismus heute zur digitalen Bremse. SAP bleibt das einzige international erfolgreiche IT-Produkt "Made in Germany", während Silicon Valley und China die digitale Transformation anführen.

Die Herausforderung ist klar – aber wie können deutsche Unternehmen sie konkret meistern? Während Elon Musk einfach seine Fabrik baute und die Bürokratie überrumpelte, müssen deutsche Mittelständler andere Wege finden.

Die Antwort liefert ein aufschlussreiches Praxisbeispiel eines unserer Kunden, ein mittelständisches Unternehmen aus Bayern. Dieses Beispiel zeigt, warum der strategische Einsatz externer Expertise oft der Schlüssel zum Erfolg ist.

 

Eine Geschichte aus Bayern: Wenn Theorie auf Realität trifft

 

Das mittelständische Familienunternehmen mit 5.000 Mitarbeitern aus Nordbayern kannte das Problem vieler deutscher Unternehmen: Viel Strategie, wenig Umsetzung. Die Firma produziert Spielzeug und Ausstattung für Kindergärten und Schulen – ein traditionelles Geschäft, das dringend digital werden musste.

Das beauftragte "Big Four"-Beratungsunternehmen hatte ganze Arbeit geleistet: 570 PowerPoint-Folien mit detaillierten Digitalisierungsstrategien. Der Kostenpunkt lag deutlich höher als die spätere Projektrealisierung. Doch wie so oft blieben die schönen Präsentationen in den Schreibtischschubladen liegen. Niemand setzte die Strategien um.

Das Familienunternehmen reagierte typisch deutsch: Sie stellten einen Chief Digital Officer ein, der die Pläne endlich realisieren sollte. Der konservative Geschäftsführer hatte jedoch eine klare Vorgabe: "Wir machen das ausschließlich mit Festangestellten."

 

Wenn die Realität zuschlägt: Sechs Monate ohne Erfolg

 

Nordbayern, fernab der Metropolen – ein digitales "No Man's Land", wie es Experten beschreiben. Während sich IT-Talente in Berlin, Köln, Hamburg oder München tummeln, herrscht in der bayerischen Provinz Fachkräftemangel. Das Unternehmen suchte sechs Monate lang nach den benötigten Digitalisierungsexperten. Vergeblich.

Die typisch deutsche Reaktion folgte prompt: Weiter auf Perfektion warten und hoffen, dass sich irgendwann die richtigen Kandidaten finden würden. Das Projekt stockte komplett. Während die Konkurrenz bereits digitalisierte, sammelte sich in Bayern der Frust.

 

Der Wendepunkt: Als Pragmatismus Perfektionismus besiegte

 

Statt weitere kostbare Monate zu warten, entschied sich das Unternehmen schließlich für einen völlig neuen Ansatz. Die erste Erkenntnis war einfach, aber revolutionär: Warum das gesamte Mammutprojekt auf einmal angehen? Stattdessen konzentrierten sie sich auf die ersten drei Monate und fragten sich: Was brauchen wir konkret für den Start?

Diese Fokussierung brachte Klarheit. Das Unternehmen identifizierte die unmittelbar notwendigen Rollen – Agile Coaches, Scrum Master und Product Owner – und setzte auf realistische Zielsetzung statt Vollplanung. Der entscheidende Schritt war jedoch ein anderer: Sie öffneten sich für Freelancer.

"Freelancer nehmen nur das Geld und gehen wieder, sie hinterlassen nichts", lautete die skeptische Reaktion der Geschäftsführung. Dem begegnete das Unternehmen mit einem smarten Ansatz. So arbeiteten interne Mitarbeiter, die ursprünglich für die Festanstellungen vorgesehen waren, als "Wingmen" direkt mit den externen Experten zusammen. Das stellte sicher, dass das Wissen systematisch im Unternehmen bleiben konnte.

 

Wissenstransfer in der Praxis: Wenn externe Expertise zu internen Kompetenzen wird

 

Das Konzept erwies sich als Volltreffer. Die Freelancer brachten nicht nur ihre Markterfahrung mit, sondern auch bewährte Methoden aus ähnlichen Transformationsprojekten. Gleichzeitig lernten die internen Mitarbeiter direkt von Experten und profitierten von den Erfahrungen der freiberuflichen Experten aus anderen Unternehmen, die ähnliche Herausforderungen gemeistert hatten.

Das Ergebnis überraschte selbst die Skeptiker. Trotz einer Verzögerung von sechs Monaten zum Projektstart wurde das Projekt einen Monat früher als ursprünglich geplant abgeschlossen. Am Ende stellte das Unternehmen zudem fest, dass es deutlich weniger Festanstellungen benötigte als ursprünglich angenommen. Die Freelancer wurden strategisch durch die nun qualifizierten internen Mitarbeiter ersetzt, die über die notwendige Expertise verfügten.

 

Was deutsche Unternehmen daraus lernen können

 

  1. Den Mut zur Veränderung finden

 

"Die Zeiten ändern sich. Wir können unseren Lebensunterhalt nicht mehr mit dem Bau von Autos verdienen", mahnt Marcus Kallies. Deutsche Unternehmen müssen raus aus der Komfortzone, ohne dabei ihre Stärken zu verlieren. Der Schlüssel liegt darin, Pilotprojekte mit begrenztem Risiko zu starten und dabei die bewährten "Fail fast, learn fast"-Prinzipien an deutsche Gründlichkeit anzupassen. Wer Experimentierbudgets definiert und nutzt, kann Innovation und Sicherheit intelligent kombinieren.

 

  1. Externe Expertise klug einsetzen

 

Die Entscheidung zwischen großen Beratungsunternehmen und einzelnen Freelancern hängt vom Projektumfang ab. Bei großen Transformationsprojekten können etablierte Beratungen die Strategie entwickeln – jedoch mit dem klaren Auftrag, parallel interne Teams aufzubauen und eine langfristige Übergangsstrategie zu entwickeln.

Bei konkreten Umsetzungsprojekten erweisen sich Freelancer oft als ideale Wissensvermittler und Katalysatoren. Sie bringen praktische Erfahrung mit und können in hybriden Teams aus externen Experten und internen Talenten nachhaltigen Kompetenzaufbau ermöglichen. Entscheidend ist dabei immer der Fokus auf langfristige Kompetenzentwicklung statt kurzfristiger Problemlösung.

 

  1. Wissenstransfer systematisch gestalten

 

Der Erfolg steht und fällt mit der Qualität des Wissenstransfers. Bewährte Methoden sind Pair Programming zwischen externen und internen Entwicklern, regelmäßige Workshops und Schulungen sowie die systematische Dokumentation von Prozessen und Best Practices. Dabei sollten klare Übergabeprozesse von Anfang an definiert werden, damit das Wissen nicht mit den externen Experten verschwindet.

 

  1. Die deutsche Balance finden

 

Die Erfolgsformel lautet: Deutsche Gründlichkeit plus digitale Geschwindigkeit. Praktisch bedeutet das, agile Methoden mit deutschen Qualitätsstandards zu kombinieren, iterative Entwicklung mit systematischer Dokumentation zu verbinden und Experimentierräume zu schaffen, ohne Kernprozesse zu gefährden. So entsteht ein typisch deutscher Ansatz zur Digitalisierung, der internationale Best Practices mit bewährten lokalen Stärken verknüpft.

 

Die strategische Personalentscheidung: Wann welcher Ansatz funktioniert

 

Die Frage "Freelancer oder Festanstellung?" lässt sich nicht pauschal beantworten. Sie hängt von verschiedenen Faktoren ab, die deutsche Unternehmen sorgfältig abwägen sollten.

Freelancer erweisen sich besonders bei Projekten mit klarem Zeitrahmen als wertvoll, wenn spezifische, seltene Expertise benötigt wird oder neue Methoden und Technologien eingeführt werden sollen. Ihr größter Vorteil liegt darin, dass sie parallel zum Projekterfolg internen Wissensaufbau ermöglichen können – wenn die Zusammenarbeit entsprechend strukturiert wird.

Festanstellungen bleiben hingegen für langfristige, strategische Positionen unverzichtbar, besonders bei unternehmenskritischen Kernprozessen oder wenn die Expertise dauerhaft im Unternehmen benötigt wird. Die Investition in eine Festanstellung lohnt sich, wenn der Bedarf kontinuierlich besteht und das Unternehmen die Expertise langfristig weiterentwickeln möchte.

Die hybride Lösung, wie sie das bayerische Beispiel zeigt, ist oft optimal: externe Expertise für den Projektstart, interne Übernahme für die langfristige Weiterentwicklung. So verbinden Unternehmen das Beste aus beiden Welten und schaffen nachhaltigen Wert.

 

Fazit: Deutschlands digitale Zukunft ist machbar

Das Beispiel aus Bayern zeigt: Deutsche Unternehmen können die Digitalisierung erfolgreich meistern. Der Schlüssel liegt nicht darin, die deutsche DNA zu verleugnen, sondern sie intelligent mit digitalen Ansätzen zu kombinieren.

Sie stehen vor einer digitalen Transformation und fragen sich, ob Freelancer oder Festanstellung die richtige Strategie ist? Wir helfen Ihnen dabei, die optimale Lösung für Ihr Projekt zu finden – mit dem richtigen Mix aus externer Expertise und internem Kompetenzaufbau. Kontaktieren Sie uns für eine unverbindliche Beratung!

Haben Sie Teil 1 verpasst? Lesen Sie hier, warum Deutschlands Engineering-DNA zur digitalen Bremse werden kann: "Deutschlands digitale DNA-Krise"

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